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Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade “Meine/Unsere Geschichte mit Hochbegabung” von Susanne Burzel. 👉 Hier geht’s zur Blogparade 2025 – mach gerne mit!
Hochbegabung – ein Wort, das oft mit Bewunderung, manchmal mit Druck und fast immer mit einem Label einhergeht. Wer dieses Etikett bekommt, wird meist anders gesehen, anders behandelt – im Guten wie im Herausfordernden. Ich kenne das, denn ich spreche aus eigener Erfahrung.
Doch Hochbegabung ist nur eines von vielen Labels, die wir im Laufe unseres Lebens tragen. Genauso wie „die Ruhige“, „die Chaotische“, „die Hochsensible“, „die Yogini“, „die Starke“ oder „die Erfolgreiche“. Labels geben uns Halt, Zugehörigkeit und Identität – aber sie können uns auch einengen, begrenzen und im schlimmsten Fall sogar von uns selbst entfremden.
In diesem Beitrag lade ich dich ein, gemeinsam mit mir hinter deine Schubladen zu schauen – und zu entdecken, wie Yoga dich wieder mit deinem wahren Wesenskern verbinden kann. Ohne Etikett. Ohne Rolle. Einfach DU.
Yoga und die Labels
Klaus und Konrad. Zwei Leben - eine Geschichte.
Stell dir zwei Jungs vor. Zwillinge. Gleich alt, gleich aufgewachsen – und doch war irgendwie von Anfang an alles anders.
Klaus war das Wunderkind. Mit fünf ein IQ-Test – zack, Hochbegabung. Ab da gab’s Förderprogramme, Stolz in den Augen der Eltern, ein Vater, der ihn fast schon bewunderte. Heute studiert Klaus, hat eine Partnerin, wohnt in einer WG, alles läuft. Die Familie ist stolz. Besonders die Mutter strahlt, wenn sie von ihm erzählt.
Und dann ist da Konrad. Der andere Zwilling. Der „normale“. Der, der in der Schule eher still war. Der nie besonders auffiel – weder nach oben noch nach unten. Der, der sich durchgebissen hat. Ohne Auszeichnung, ohne Sonderstatus. Einfach gemacht. Ausbildung statt Studium. Kein Applaus. Dafür innere Fragen, die schwerer wiegen als Schulnoten. Und depressive Phasen, über die man in der Familie nicht so gern spricht.
Beide haben ihren Weg gemacht. Aber auf so unterschiedlichen Pfaden, dass man sich fragt: Was hat mehr gezählt – der IQ oder das, was man gesehen hat? Was man gefördert hat? Was man gelabelt hat?

Schublade auf - Label drauf
Schon beim Lesen hast du vermutlich automatisch mitgelabelt:
Klaus: Wunderkind, hochbegabt, Student, in einer Partnerschaft, erfolgreich. Konrad: stilles Kind, durchschnittlich, Auszubildender, depressiv.Wir alle tun das. Täglich. Labels helfen uns, Menschen, Gruppen oder Situationen schnell einzuordnen. Aber was passiert, wenn wir uns selbst über unsere Labels definieren? Und was hat das eigentlich mit Yoga zu tun?
Die Macht der Labels
Früher nannte man es „Marke“. Heute ist daraus ein „Label“ geworden – und nicht nur Konsumprodukte, sondern auch Menschen sind davon betroffen. Schon in der Schulzeit war klar: Nur mit Adidas-Schuhen und Levi’s-Jeans warst du „wer“. Heute tragen wir Labels wie „Scannerpersönlichkeit“, „hochbegabt“, „Yogini“, „Projektor“, „Coach“, „Führungskraft“…
Diese Begriffe bringen automatisch bestimmte Eigenschaften mit sich. Sie helfen uns, schneller zu kommunizieren, Gemeinsamkeiten zu erkennen – und landen dann in unseren Köpfen in einer Schublade. Früher nannte man das übrigens Vorurteil. Aber die haben wir ja angeblich nicht mehr, oder?
Ein kleines Experiment
Schließ mal kurz die Augen und hör zu:
Hallo! Ich bin Stefanie - eine Yogini!
Was siehst du?
Wahrscheinlich so etwas wie: ruhig, gelassen, gesund, spirituell (aber nicht abgehoben), warmherzig, offen, natürlich schön, ein bisschen mystisch, lebensklug…
Zack – Schublade. Und schon sitzt Stefanie drin.
… in die ich natürlich zu 100% passe und aus der ich auch erst einmal so schnell nicht mehr herauskomme.

Warum Labels mehr sind als nur Worte
Jedes Label bringt Erwartungen mit sich – von anderen und von uns selbst. Sie machen uns das Leben manchmal leichter, weil sie Zugehörigkeit und Erklärung bieten:
🔍 „Ich bin nicht komisch – ich bin einfach hochsensibel.“
💡 „Ich bin keine Zicke – ich habe einfach starke Intuition und offene Chakren.“
Aber wenn aus einem „Ich fühle mich heute so“ ein „Ich bin so“ wird, wird’s eng. Dann entstehen Selbstbilder, die kaum mehr Spielraum lassen. Du beginnst dich mit deinem Label zu identifizieren. Ihr werdet eins. Und wehe, du erfüllst dein eigenes Label mal nicht! Wut, Traurigkeit, Angst – sie passen oft nicht in das Bild, das du von dir selbst gezeichnet hast. Die Folge? Druck, Selbstverurteilung und innerer Stress.
Hast du dich schon einmal gefragt “Wer bin ich, wenn ich nicht mehr versuche, jemand Bestimmtes zu sein?”
Yoga und der Blick dahinter
Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geiste.
Patanjali, Yoga Sutra I.2: „Yogas citta-vritti-nirodhah“
Vrittis – das sind Gedanken, Rollen, Labels, Meinungen. Yoga lädt uns ein, genau diese Bewegungen still werden zu lassen. Nicht, um sie zu verdrängen, sondern um zu erkennen: Ich bin nicht mein Label. Ich bin das, was dahinter liegt.
Patanjali spricht in den Yoga Sutras von den Kleshas – den Ursachen menschlichen Leidens. Eine davon ist Asmita, die Ich-Verhaftung: das falsche Selbstbild, geformt durch äußere Meinungen und Erwartungen. Nicht zu vergessen, durch die Rolle, die wir selber gerne spielen. Die Person, die wir gerne sein wollen. Dieses Bild wird oft so stark, dass wir es mit unserer Identität verwechseln. Aber unser wahres Selbst ist viel weiter, freier, größer.
Yoga liebt die Weite
In der Stille der Praxis ist es egal, ob du eine “hochsensible Scannerin mit leichtem ADHS und Mond in den Fischen” bist. Du atmest. Du spürst. Du bist. Genau das ist heilsam – und manchmal herausfordernd.
Raum für das Nicht-Wissen
Labels helfen dem Geist, sich schneller zurechtzufinden. Sie sind praktisch. Sie erleichtern das Verständnis unserer hochkomplexen Welt. Aber sie sind nicht die Wahrheit.
Zurück zur Blogparade von Susanne Burzel über Hochbegabung: Für mich war das Label hilfreich. Es hat mir erklärt, warum ich schneller denke, mich schnell langweile oder oft wie ein Alien fühle. Aber der Umgang damit? Den lerne ich im Yoga.
Denn mein IQ ist ein Teil meiner Eigenschaften – nicht mein Wesen. Er erklärt etwas. Aber er definiert mich nicht. Mit Yoga finde ich immer wieder zurück zu meinem wahren Selbst. Und ganz ehrlich? Ja, mein Ego freut sich manchmal, dass ich intelligenter bin als andere 😄😉
Also… brauchen wir Labels oder nicht?
Jein.
Labels können Türen öffnen. Sie können Halt geben. Sie können dir helfen die Welt zu verstehen. Gerade in Übergangsphasen. Aber sie dürfen dich nicht begrenzen.
Wenn du merkst, dass du Entscheidungen triffst, nur um deinem Label zu entsprechen („Ich bin halt introvertiert – ich kann keine Gruppen leiten…“), dann wird’s toxisch.
Meine Einladung an dich:
Bist du bereit, dich hinter deinen Labels wiederzufinden?
Mach doch mal die kleine Challenge: Einen Tag lang kein Label. Keine Schublade. Kein „Ich bin halt so“.
Was lernst du über dich?
Vielleicht spürst du dann, wer du wirklich bist – ohne Etikett.
2 comments
Liebe Stefanie,
vielen herzlichen Dank für deinen persönlichen aber auch wichtigen Beitrag zu meiner Blogparade! Du sprichst einen wichtigen Punkt an: Da Schubladendenken. Dabei liegt die Macht im Wort, und von “Ich bin” zu “Ich fühle ich heute” ist es nur ein kleiner Schritt mit so einer großen Wirkung. Wir sind so viel – und ja, manchmal helfen Schubladen. Aber sie engen ein. Wie du sagst. Daher ist der Idealzustand, den wir hoffentlich irgendwann einmal erreichen in unserer Gesellschaft, dass wir alle einfach nur sind. Ohne Schublade, ohne IQ, ohne zu bewerten.
Alles liebe für dich!
Susanne
Liebe Susanne,
deine Worte treffen mitten ins Herz – danke dir dafür! 💛
Ja, dieses feine Spiel zwischen Einordnung und Freiheit, zwischen „Ich bin“ und „Ich fühle“… es braucht so viel Bewusstheit, um nicht hängen zu bleiben an einem Label, das uns vielleicht mal kurz Halt gab.
Deine Blogparade war ein echtes Geschenk – sie hat Raum geschaffen für genau diese Zwischentöne.
Ich wünsch uns allen, dass wir diesen Idealzustand mehr und mehr leben dürfen: einfach sein – ohne Schublade, ohne Bewertung, einfach wir.
Alles Liebe zurück zu dir ✨
Stefanie