Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Schule anders denken“ von Gabriella Rauber. Schau dir hier alle Beiträge an und mach gern selbst mit: Zur Blogparade 2025.
Yoga endet nicht auf der Matte – es beginnt dort. Was wäre, wenn wir die Prinzipien des Yoga auf den Lebensraum Schule übertragen? Dieser Beitrag lädt dich ein, Bildung neu zu denken: achtsamer, freier und menschlicher.
Stell dir doch einmal folgende Szene vor:
10:15 Uhr – eigentlich sollte jetzt Mathematik beginnen. Die Tür geht auf, Kinder strömen laut schnatternd vom Hof zurück ins Klassenzimmer. Zwei Jungs schubsen sich im Türrahmen, eine Trinkflasche fällt scheppernd zu Boden.
„Bitte auf eure Plätze!“, ruft Herr Meier, der Klassenlehrer, mit fester Stimme.
Einige Kinder setzen sich, andere suchen noch ihre Stifte, ein Mädchen hat Tränen in den Augen, weil ihre Brotdose verschwunden ist. Jemand kramt lautstark in der Schublade, irgendwo fliegt ein Papierflieger durch die Luft.
Herr Meier seufzt leise, greift zur Tafel. „So, wir rechnen weiter mit den schriftlichen Divisionen. Bitte schlagt Seite 72 auf.“
Einige Kinder kramen hektisch im Ranzen, andere starren ins Leere, als hätten sie den Auftrag gar nicht gehört. Der Geräuschpegel ist hoch. Zwei Tische weiter tuscheln zwei Schüler*innen und lachen – offensichtlich nicht über Mathe.
„Ruhe bitte! Das ist jetzt Unterricht!“ sagt Herr Meier, diesmal lauter. Es kehrt kurz Ruhe ein. Dann klingelt ein Handy im Rucksack. Kichern.
Die nächsten 45 Minuten vergehen zwischen Ermahnen, Erklären, Wiederholen und dem Versuch, die Klasse irgendwie bei der Sache zu halten.
Am Ende der Stunde steht kaum etwas an der Tafel. Herr Meier schaut auf die Uhr, dann auf die Klasse. Die nächste Gruppe steht schon vor der Tür. Er schiebt seine Brille hoch, atmet tief durch – und lächelt tapfer.
Kommt dir das aus deiner Schulzeit bekannt vor? Diese Szene zeigt, wie herausfordernd der Alltag für Lehrkräfte und Schüler*innen oft ist: Laut, unruhig, wenig Raum für Fokus – und fast keine Zeit zum Durchatmen.
Und jetzt das Ganze noch einmal, aber ein wenig anders. Stell dir jetzt folgende Szene vor:
Die Sonne scheint schräg durch die Fenster der Klasse 3b. Die Kinder kommen nach und nach herein gestürmt – laut lachend, Ranzen plumpsen auf die Stühle, Jacken werden achtlos über Haken geworfen.
Frau Lindner, die Klassenlehrerin, steht schon bereit mit einer Klangschale in der Hand. Sie lächelt ruhig.
„Okay, ihr Lieben – bevor wir richtig starten, machen wir unseren kleinen Achtsamkeitsmoment.“
Ein paar Kinder rufen: „Yaaay!“ Andere rollen die Augen, setzen sich aber doch hin und schließen die Augen.
Dong – der helle Ton der Klangschale schwingt durch den Raum.
„Spür mal, wie du auf deinem Stuhl sitzt … Füße auf dem Boden … Hände auf den Knien … Atmet tief ein … und aus …“ sagt Frau Lindner leise.
Der Lärm von eben scheint wie weggeblasen. 22 Drittklässler*innen sitzen still da, manche mit einem leichten Lächeln.
„Stell dir vor, dein Bauch ist ein Luftballon, der sich beim Einatmen füllt, größer wird, leuchtet, strahlt … und beim Ausatmen langsam wieder ganz klein wird.“
Ein paar Sekunden lang ist es ganz ruhig.
Dann: „Und jetzt – Augen auf … Guten Morgen, liebe 3b!“
„Guten Morgen, Frau Lindner!“, schallt es zurück – diesmal etwas ruhiger, entspannter, fast konzentriert.
Was wäre, wenn die Schule nicht nur ein Ort des Wissens, sondern auch ein Raum für Stille, Bewegung, Selbstwahrnehmung und innere Stärke wäre. Eine Schule, in der Kinder nicht nur Formeln und Vokabeln pauken, sondern lernen, sich selbst zu fühlen, ihre Emotionen zu verstehen und den Herausforderungen des Lebens mit Ruhe zu begegnen. Klingt utopisch? Vielleicht. Lass uns doch mal schauen, ob es nicht möglich ist, diese Vision real werden zu lassen. Zeit, Schule anders zu denken.
Schule mit Yoga anders denken
Warum Yoga und Achtsamkeit in die Schule gehören
Aus den Erzählungen meiner Neffen und meiner Nichte weiß ich: Der Schulalltag ist oft laut, hektisch, vollgestopft mit Anforderungen. Konzentrationsprobleme, Nervosität, Bewegungsmangel – all das gehört für viele Kinder heute zum Alltag.
Der Präventionsradar 2024 der DAK-Gesundheit zeigt: Über die Hälfte der Schüler:innen in Deutschland fühlen sich erschöpft. Und inmitten der digitalen Dauerbeschallung wird echte Verbindung – zu sich selbst und zu anderen – immer seltener.
Unsere Kinder brauchen mehr als nur Fachwissen. Sie brauchen die eigene innere Stärke. Sie brauchen Werkzeuge, um mit Stress, Unsicherheit und Reizüberflutung umzugehen. Sie brauchen Räume, in denen sie einfach mal durchatmen dürfen.

Hier kommt Yoga ins Spiel. Nicht als Pflicht, nicht als „cooles Extra“, sondern als echte Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Yoga bringt Körper, Geist und Seele in Balance – und genau das braucht Schule heute.
Denn Yoga ist mehr als Turnen auf der Matte. Es vereint körperliche Übungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama), Meditation und Entspannung. Richtig angewendet, fördert es Konzentration, Selbstbewusstsein, Empathie und Resilienz – Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert wichtiger denn je sind.
Was konkret passiert, wenn Kinder Yoga lernen

Yoga in der Schule ist kein Leistungssport und keine spirituelle Pflichtveranstaltung. Es ist kindgerecht, spielerisch und alltagstauglich.
Eine typische Einheit könnte so aussehen:
Bewegung: Einfache Übungen wie der Baum, die Katze oder der herabschauende Hund fördern Gleichgewicht, Haltung und Körperwahrnehmung.
Atmung: Atemspiele wie die summende Biene oder der “Luftballonbauch” beruhigen das Nervensystem und fördern die Konzentrationregulieren.
Achtsamkeit: Fantasiereisen, Körperreisen oder kleine Meditationen lenken den Fokus nach innen und staärken das Selbstbewusstsein.
Entspannung: Eine stille Schlussphase mit Musik oder einer Klangschale hilft beim Loslassen und Ankommen im Moment. Damit wird echte Erholung ermöglicht.
Die Zeit spielt keine große Rolle – schon fünf Minuten bewusstes Innehalten können den Tag verändern. Wichtig ist: Es geht nicht ums „richtig machen“. Es geht ums Fühlen. Um das, was so oft zu kurz kommt im vollen Stundenplan.
Je nach Alter, Zielsetzung und Zeitressourcen wird der Fokus angepasst.
Was können wir aus anderen Ländern lernen
Indien – Happiness Curriculum
Im Heimatland des Yoga wurde in Delhi 2018 das “Happiness Curriculum” eingeführt – ein ganzheitlicher Ansatz für Schüler:innen von der Vorschule bis zur achten Klasse. Hier geht es um emotionale Bildung, Achtsamkeit und kritisches Denken. Die Vision: Kinder, die nicht nur funktionieren, sondern erfüllt leben. Das Programm wurde bereits auf andere indische Bundesstaaten sowie Länder wie Afghanistan, Nepal und die Vereinigten Arabischen Emirate ausgeweitet.
USA – Mindfulness in Schulen
Die Wirkung? Mehr Resilienz, besseres Miteinander, weniger Stress.In den USA gibt es zahlreiche Programme, die Yoga und Achtsamkeit in Schulen integrieren. Eine Studie identifizierte 36 Programme, die Yoga in über 940 Schulen anbieten. Diese Programme sind säkular ausgerichtet und zielen darauf ab, soziale und emotionale Kompetenzen zu stärken. Ein Beispiel ist das “YOGA for Youth”-Programm in Los Angeles, das Jugendlichen Werkzeuge für Selbstfindung und Gemeinschaftsengagement bietet.
Schweden – Yoga als Bewegung
In Schweden wurde 2012 entschieden, dass Yoga als körperliche Übung in Schulen unterrichtet werden darf, solange es säkular (also weltlich) bleibt. Das bedeutet, dass Yoga dort als Teil des Sportunterrichts integriert werden kann. Ohne religiöse Inhalte, aber mit viel Wirkung auf Konzentration und Bewegungsfreude.
Studien und Forschung: Was sagt die Wissenschaft?
Studien belegen: Yoga und Achtsamkeit haben einen positiven Einfluss auf Konzentration, emotionale Regulation und das soziale Miteinander.
Ein Forschungsprojekt der FU Berlin zeigt: Kinder mit regelmäßigem Yogaunterricht hatten langfristig weniger Kopfschmerzen. Andere Studien nennen weniger Angst, mehr Selbstvertrauen und ein harmonischeres Klassenklima.
Gleichzeitig ist klar: Achtsamkeit ist kein Allheilmittel. Die Programme müssen professionell angeleitet werden – mit Fingerspitzengefühl und Verständnis für die kindliche Psyche. Dann aber haben sie das Potenzial, Schule nachhaltig zu verändern.
Und bei uns? Ja – auch in Deutschland bewegt sich etwas!
- Bayern hat Yoga seit 1994 im Lehrplan verankert. Das Yoga Forum München e.V. bietet seitdem Weiterbildungen für Lehrkräfte an, um Yoga in den Unterricht zu integrieren.
Das KOAG-Programm (Körperorientierte Achtsamkeit) wird bundesweit eingesetzt – mit nur sieben Übungen für mehr Fokus und Balance.
YOGAHILFT hat das Projekt PrÄViG (Prävention in der Lebenswelt Grundschule) ins Leben gerufen – bereits über 200 Kinder nehmen in Hamburg und München daran teil.
In Berlin-Kreuzberg ist Yoga an der Niederlausitz-Grundschule bereits seit 2006 ein reguläres Unterrichtsfach.
In Essen ist am Gymnasium Nord-Ost Achtsamkeitstraining für alle Fünftklässler Pflicht. Das Projekt wird von der Universität Duisburg-Essen wissenschaftlich begleitet und zeigt erste vielversprechende Ergebnisse.
YoBEKA bringt Bewegung, Entspannung und Achtsamkeit in immer mehr Grundschulen und Kitas – mit kurzen, kindgerechten Yoga-Übungen und ohne große Hilfsmittel
Das zeigt: Die Veränderung hat längst begonnen.
Eltern als Vorbild – die Schule allein kann es nicht richten
So sehr Schule auch ein Ort der Entwicklung ist – der erste und wichtigste LErnraum bleibt das Zuhause. Kinder beobachten, was wir leben.
Wenn Eltern unter Dauerstrom stehen, mit sich selbst hart umgehen oder ihre Gefühle nicht zeigen, übernehmen Kinder genau das. Achtsamkeit beginnt nicht auf der Yogamatte – sie beginnt im Miteinander.
Eltern, die innehalten, zuhören, sich selbst wichtig nehmen und liebevoll mit sich und ihren Kindern umgehen, pflanzen Samen. Samen für Resilienz. Für Mitgefühl. Für Mut.
Die Schule kann diese Entwicklung begleiten, aber sie kann sie nicht ersetzen.
Es braucht ein starkes Miteinander – zwischen Familie, Schule und Gesellschaft.

Fazit: Schule neu denken heißt, die Schüler:innen sehen
Yoga und Achtsamkeit sind keine Trends, sondern tiefgreifende Antworten auf eine Welt, die immer schneller, komplexer und reizintensiver wird.
Eine Schule, die Raum gibt für Stille, Bewegung, Gefühl und Verbindung – das ist keine Utopie. Das ist möglich und sollte auch möglich sein.
Und es beginnt mit Menschen wie dir – die mutig sind, die Fragen stellen, die bereit sind, neue Wege zu gehen.
Für Kinder, die nicht nur Noten, sondern Selbstvertrauen mit nach Hause bringen.
Für Klassenzimmer, in denen nicht nur gerechnet, sondern auch geatmet wird.
Für eine Gesellschaft, in der Bildung nicht trennt, sondern verbindet.
Lass uns Schule gemeinsam neu gestalten. Mit mehr Mitgefühl. Mehr Menschlichkeit. Mehr Mut.
Und vielleicht einem herabschauenden Hund zwischendurch. 🧘♂️🐾
Wenn du selbst Yoga lehrst, lebst und/oder liebst – dann weißt du, wie viel Kraft in dieser Haltung steckt. Teile diesen Beitrag mit Eltern, Pädagog:innen oder einfach Menschen, die Schule anders sehen möchten. Gemeinsam säen wir neue Gedanken – für eine bewusstere Zukunft.